Popkornkino

In Kürze: Der Betreiber will das Kino dichtmachen, weil es sich für ihn nicht lohnt, obwohl am Ende wohl ein kleines Plus steht und die Stadt steht seit einiger Zeit vor der Frage, wie es weitergehen soll [siehe Links am Ende der Geschichte].Von Gott weiß woher hat man jetzt ein neues Konzept für den Betrieb aufgetrieben, das als Idee, wie ich persönlich finde, sehr charmant ist, von dem ich aber Zweifel habe, ob das in dieser Form so funktioniert.

Diese Zweifel basieren allerdings auf sekundären Quellen (Presse), insofern kann ich dazu erst Näheres sagen, wenn ich das Konzept im Original gesehen habe. Bisher (Stand: 12.04.2018) hat die Diskussion drei Vorschläge hervorgebracht:

I. Das Konzept1

Die Stadt übernimmt das Kino für 360.000€ und investiert 300.000€ in notwendige Umbaumaßnahmen [die allerdings nur einer Grobplanung entstammen und dementsprechend wenig aussagekräftig sind.]. Betrieben werden soll das Kino kommunal, über die geplante Rechtsform wurde nichts berichtet. Das geplante Programm umfasst:

  • Arthouse-Filme [Kunstfilme]
  • »Popcorn-Kino« mit 3D-Filmen
  • Dokus und Kurzfilme »ergänzt zu verschiedenen Filmreihen« [was das genau bedeutet, wird aus dem Kontext nicht völlig klar]
  • Sportereignisse (Etwa der Superbowl der NFL)
  • ergänzend soll ein Programm für Kleinkunstveranstaltungen etabliert werden

Unterm Strich soll der Fokus wohl auf ein »anspruchsvolles Programm« gelegt werden. Auch an der Hardware soll sich was tun:

  • Umgestaltung der Fassade 
  • die Einrichtung einer barrierefreie Toilette
  • weiter soll »der Wohlfühlcharakter« der Lobby verbessert werden

Soweit, so okay.

II. Die Position von CSU|FWS

Die Fraktion der CSU|FWS hat sehr deutlich gemacht, dass sie ein Konzept auf Basis des kommunalen Kinos, mit Verweis auf den momentan noch etwas wackeligen Haushalt der Stadt ablehnt. 

  • Gründung einer GmbH mit einer möglichen Beteiligung der Stadt; ein Förderverein soll unterstützen
  • Ablehnung einer Erweiterung des Gastro-Angebots, aufgrund von »Wettbewerbsverzerrung«
  • Die CSU gibt die weiterhin relativ schwache Finanzlage der Stadt zu bedenken
  • Die FWS haben Einwände aufgrund des Aufwandes, der für den Betreiber schon zu hoch würde und dementsprechend hoch auch für ehrenamtliche Unterstützer ausfallen mag

Für das Rathaus sei es sicherlich schmeichelhaft, wenn man unterstelle, dass es Dinge könne, die sich die privaten Eigentümer nicht mehr zutrauten.(Stephan Rummel, zit. n. Frankenpost online)

Auf Facebook weist der Unternehmer Martin Groeper eindringlich darauf hin, dass im Plan der CSU ein Förderverein juristisch wohl keinen Platz hätte. Tja, nun. Die Chancen stehen wohl eher schlecht, dass lokale Investoren in Selb mal den Hut rumgehen lassen, um ausreichend Kapital zu sammeln. Der CSU-Vorschlag kippelt daher ganz schön.

III. Die Position der SPD

  • Die SPD möchte das Konzept testen. Basis dafür soll ein Mietvertrag mit dem Inhaber des Kinos sein
  • Der Mietvertrag soll über 18 Monate laufen, in der das Konzept implementiert werden kann
  • Gleichzeitig soll der Stadt so die Möglichkeit gegeben werden, den Anker zu werfen. 
  • Weiter sollen möglichst viele Konjunktive im Vorfeld ausgeräumt werden, insbesondere was mögliche Förderoptionen angeht
  • Auch die SPD zieht eine Einbeziehung von Investoren in Betracht

Und nun? Alle drei Positionen haben durchaus bedenkenswerte Aspekte, allerdings gibt es auch Raum für Kritik

 

Eins

Dass ein Kino für die Stadt Selb eine wichtige Einrichtung ist, ist schwer zu bestreiten, inwiefern sich allerdings Kino mit Fokus auf Arthouse, also den Kunstfilm, (kosten)effizient betreiben lässt, ist sehr schwer zu sagen. 2016 waren gerade einmal 12,5% aller Kinogänger Besucher von Programmkinos. Dieser Schnitt wird in Selb wohl eher niedriger sein, insofern bin ich da sehr skeptisch. Auf der anderen Seite haben Sportereignisse wie das CL-Finale oder der Superbowl, die andernorts schon in Kinos gezeigt werden, unter Umständen doch einiges Potential.  
Die weiteren Möglichkeiten sind unendlich: Es gibt Tatortabende oder Vormittagsvorstellungen für Eltern mit kleinen Kindern, wo die Filme jeweils etwas leiser und mit Untertiteln gezeigt werden, falls mal ein Balg plärrt. Dazu: jähriliche Vorstellungen von Kultfilmen wie der Rocky-Horror-Picture-Show und ähnlicher. Es ist schwierig, trotzdem ist das Potential ist wahnsinnig groß. Auch eine kleine Bühne oder generell ein Platz für Veranstaltungen sind in Selb bisher nicht leicht zu finden. Insofern, aus der Sicht eines Kulturenthusiasten: Daumen erst einmal seitwärts.

 

Zwei

Eine private Lösung ist bei einem Budget von mindestens 650.000€ schwierig zu erreichen. Das Risiko für private Investoren wäre enorm hoch, und es ist doch fraglich, ob das ordentlich gegenfinanziert werden kann. Auch der Punkt mit dem gastronomischen Konkurrenzangebot ist nicht ganz von der Hand zu weisen und sehr schwer zu rechtfertigen. Aber:
Transparenz bei der Budgetierung kann Bedenken in diesem Punkt ausräumen helfen.

Besonders interessant finde ich im Zusammenhang mit der Finanzierung die oben zitierte Aussage von Stephan Rummel. Tatsächlich ist die »Unterstellung« nämlich sehr zutreffend: eine Kommune kann tatsächlich Dinge machen, die die Privatwirtschaft nicht kann, weil diese auf die Gewinnmaximierung fixiert ist, anders als ein kommunales Unternehmen.

Die wichtigste Aufgabe von kommunalen Kinos ist die Kulturarbeit. Die kann vielerorts überhaupt nur aufrecht erhalten werden, weil die Gemeinden die Filmtheater querfinanzieren. Bei so ziemlich allen deutschen Bühnen ist das übrigens genau so; auf die Idee, das Rosenthal-Theater zu schließen kommt ja auch niemand. Die Möglichkeit der Querfinanzierung ist in Wirklichkeit der große Vorteil des kommunalen Kinos. So wird es in vielen Kinos überhaupt erst möglich, die im Vergleich zum Popcornkino weniger lukrativen, aber kulturell wertvollen Arthouse-Filme überhaupt anzubieten. Die CSU|FWS-Position bekommt von mir ein solides »Na ja«.

 

Drei

Den Vorschlag der SPD ist mir grundlegend ziemlich sympathisch. Die Idee, das besprochene Konzept step-by-step umzusetzen, schafft die Möglichkeit, in einer Art Sandbox, also einer sicheren Entwicklungsumgebung, verschiedene Modelle und Ansätze zu testen und umzusetzen. Auf diese Weise wird das Konzept im laufenden Prozess weiterentwickelt, was dem Kino eine Menge Flexibilität einräumt. Gleichzeitig bliebe so genug Zeit, eine gewisse Marktforschung zu betreiben, um das Publikum näher kennenzulernen, und entsprechend das Konzept an diese Daten anzupassen und das »Nutzererlebnis« zu verbessern. Unterdessen kann dann dementsprechend die geeignete Rechtsform für das kommunale Lichtspielhaus gefunden werden. Wichtig dabei ist, ein ordentliches Monitoring aufzubauen, damit möglichst schnell auf negative Veränderungen reagiert werden kann.   

Dass die SPD erst einmal keine Umbauarbeiten in Kauf nehmen will, ist angesichts des Miet-Vorschlages natürlich verständlich, Bauschmerzen macht mir das aber doch. Umbaumaßnahmen sind im Selber Kino ziemlich notwendig, die Struktur ist nicht mehr ganz so zeitgemäß. Wenn außerdem ein Gastro-Angebot entstehen soll, werden da [vermute ich] auch im Foyerbereich Bauarbeiten notwendig sein. Dazu kommt die Barrierefreiheit, die für öffentliche Gebäude regelmäßig erreicht werden soll. Eine barrierefreie Toilette ist da nicht genug, auch der Eingangsbereich müsste dann ganz neu gestaltet werden.


Persönlich bin ich sehr stark dafür, ein Kino in Selb zu erhalten.

Das schließt eine kommerzielle Lösung fast vollkommen aus, die Rentabilität ist da wohl eher nicht gegeben. Ein kommunales Kino mag finanziell ein größeres Risiko sein, stellt den Erhalt des Kinos als Teil der kulturellen Infrastruktur aber erst einmal sicher. Mit einem moderneren, zeitgemäßeren Programm können realistisch gesehen auch wieder mehr als 17.000 Besucher pro Jahr erreicht werden. 

Der Haken ist die Vorbereitung: Bei einigen kommunalen Projekten in der Vergangenheit ist in der Stadt schon konzeptionell Einiges schiefgelaufen, was zu horrenden Folgekosten geführt hat. Das sollte – wenn möglich – nicht wieder passieren.Es ist wichtig, dieses Projekt auf richtige Füße zu stellen. Das schließt Gutachten (baustatische wie ggf. juristische) ebenso mit ein, wie eine taugliche Projektstruktur, die Mission, Parameter, an denen der Erfolg gemessen werden kann, Informationen zu den Besucherstrukturen, eine taugliche Evaluation und vor allem offene Kommunikation. Wenn sich die Stadt diesmal dazu durchringen kann, das kommunale Kino professionell managen zu lassen [was ich der ominösen Konzeptionistin erst einmal zutraue], dann wird das mit dem kommunalen Kino auch ohne Schwierigkeiten was.

[hinzugefügt, 13.04.2018, 12:40 Uhr] Einen wichtigen Punkt habe ich in der Zusammenfassung gar nicht erwähnt: Bei einer Übernahme des Kinos durch die Stadt muss, unabhängig von der Rechtsform, vor allem die völlige Unabhängigkeit des Betriebes in Fragen der Programmgestaltung festgelegt sein. Zum einen, weil dadurch ein gleichbleibend hochwertiges Programm sichergestellt wird, zum anderen wird auf diese Weise die Freiheit der Kunst gewahrt, die in diesem Fall nicht nur auf die Filmauswahl beschränkt wäre. 

Und zuletzt:

This one goes out to you, CSU: Ein Kino ist natürlich ganz SELBSTVERSTÄNDLICH ein Wirtschaftsbetrieb [was nichts anderes bedeutet als »Unternehmen«, das macht die Aussage an sich schon komplett überflüssig] und man kann ein Kino NATÜRLICH auch als GmbH betreiben [ich kann nicht ganz fassen, dass man das wirklich sagen muss, so belanglos ist diese Aussage].

Die [wichtige] Frage ist daher halt auch, welchen Zweck man damit verfolgt und ob man das dann überhaupt noch will. Oder ob es auch nur sinnvoll ist. Überraschenderweise ist ein Kino nicht automatisch gewinnorientiert, nur weil »Kino« drauf steht. Ich mag in diesem Fall den großartigen Joachim Lux zitieren, der da schrieb

Erst Kultur macht das Leben lebenswert. Als unabdingbare Überflüssigkeit steht sie gegen die Ökonomisierung der Lebensverhältnisse. Und für die Freiheit.


Offenlegung: Der Autor ist SPD-Mitglied und als solches Genosse im OV Selb.


Links zum Thema

kommunale kinos: Bundesverband kommunale Filmarbeit

FFA-Prgrammkinostudie 2016

Kultur ist Leben. Kultur ist Freiheit. [The European, 14.03.2015]

Hoffnung für das Kino Center [Frankenpost, 31.08.2017, Paywall]

Das Ringen um das Kino-Konzept [Frankenpost, 15.12.2017, Paywall]

Unterstützung für Zukunft des Kinos als Kulturstätte [Selb live, 10.04.2018]

Hängepartie um Selber Kino geht weiter [Frankenpost, 10.04.2018]

Selb: CSU will Kino in privater Rechtsform [Frankenpost, 11.04.2018]

SPD Selb: Kinorettung ist möglich [Facebook, 12.04.2018]

Anmerkungen

1. Sporer M. Unterstützung des Kinos als Kulturstätte. Selb-live.de. http://www.hochfranken-live.de/index.php/news/4940-unterstuetzung-fuer-zukunft-des-kinos-als-kulturstaette.html. Published April 10, 2018. Accessed April 10, 2018.

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d.

daß Auschwitz nicht noch einmal sei

Der 27. Januar ist der internationale Tag des Gedenkens an die Opfer der Shoa. An diesem Tag wurde 1945 das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau von der Roten Armee befreit. Bis zu diesem Von 1940 an bis zu diesem Tag starben in den Lagern des Auschwitz-Komplexes bis zu 1,5 Millionen Menschen.

Im November 1959 formulierte Theodor W. Adorno einen Radiovortrag mit dem Titel „Erziehung nach Auschwitz“, der später auch in Schriftform herausgegeben wurde. Adorno leitet den Vortrag ein mit einem berühmt gewordenen Zitat:

Die Forderung, daß Auschwitz nicht noch einmal sei, ist die allererste an Erziehung. Sie geht so sehr jeglicher anderen voran, daß ich weder glaube, sie begründen zu müssen noch zu sollen. Ich kann nicht verstehen, daß man mit ihr bis heute so wenig sich abgegeben hat. Sie zu begründen hätte etwas Ungeheuerliches angesichts des Ungeheuerlichen, das sich zutrug.

Theodor W. Adorno (2003): Gesammelte Schriften. Band 10: Kulturkritik und Gesellschaft, p. 690.

Nun ist Adorno selbst vor den Nazis zunächst nach Großbritannien, dann in die USA geflohen und erst 1949 wieder nach Deutschland zurückgekehrt. „Erziehung nach Auschwitz“ war Adornos Beitrag zu einer der ersten „Schlussstrich-Debatten“, die die Bundesrepublik bis in die Gegenwart immer wieder führt – mit zum Teil haarsträubender Wortwahl, aber Faschisten hören eben niemals auf, Faschisten zu sein und das Sagbare zu verschieben, ist bei Rechten ja gerade wieder sehr in Mode.

Gleichzeitig wird Adornos Forderung „daß Auschwitz nie wieder sei“ heute häufig als antifaschistische Beteuerung im Rahmen des Gedenkens an die Novemberpogrome oder eben den 27. Januar verwendet, gerne auch verhashtagged: #NieWieder!

Auch nach antisemitischen Anschlägen wie zuletzt dem in Halle an Jom Kippur 2019 wird Solidarität mit Jüd*innen routiniert bekundet. Wirklich handfest gelebt werden solche Bekenntnisse in Deutschland kaum und auch deshalb bleibt das Gedenken an die Shoa performativ und selbstvergewissernd.

Die Realität für JüdinnenJuden im Deutschland der Gegenwart ist allerdings eine andere: noch heute, täglich, müssen sie täglich mit Anfeindungen und Gewalt rechnen, wenn sie sich in der Öffentlichkeit als jüdisch zu erkennen geben.

Wir müssen immer Partei ergreifen. Neutralität hilft dem Unterdrücker, niemals dem Opfer. Schweigen ermutigt den Peiniger, niemals den Gepeinigten. Manchmal müssen wir uns einmischen. Wenn Menschenleben bedroht sind, wenn die Menschenwürde in Gefahr ist, werden nationale Grenzen und Befindlichkeiten irrelevant. Wo immer Männer und Frauen aufgrund ihrer Rasse, ihrer Religion oder ihrer politischen Ansichten verfolgt werden, muss dieser Ort – in diesem Moment – zum Zentrum des Universums werden.

Elie Wiesel, Shoa-Überlebender in seiner Dankesrede anlässlich der Verleihung des Friedensnobelpreises 1986.

Diese Forderung, die Forderung nach Zivilcourage, Empathie und Wachsamkeit, wird seit einigen Jahren wieder verstärkt in die deutsche Gesellschaft getragen, von jüdischen Stimmen wie Elie Wiesel (der 2016 gestorben ist) oder Ester Bejarano, die im Mädchenorchester von Auschwitz Akkordeon spielen musste und 2021 starb. Oder von jüdischen Deutschen der Nachkriegsgenerationen, etwa der Bloggerin Juna Grossmann oder dem Publizisten Max Czollek. Das sollte nicht sein. Das ist unser Job.

Die Enkel- und Urenkelkinder der Tätergeneration müssen sich darum kümmern, dass solche Dinge nicht wieder passieren und ich finde es nur schwer fassbar, dass in diesem Land, dessen Strukturen und Organe historisch so viel Leid über die Welt gebracht haben, heute wieder jüdische Menschen an die ~Christenmenschen~ appellieren und nachgerade um Hilfe flehen müssen, damit ihre basalen Grundrechte gewahrt werden (was dann wiederum natürlich nicht passiert, because Deutsche gonna deutsch.)

Der nächste 27. Januar wird ein Freitag sein und – natürlich – werden Gedenkfeiern stattfinden, die dann aber nur für Deutsche sind, denn der Schabbat beginnt mit Sonnenuntergang.